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Ihr Kampf ist unser Kampf - Pierburg 1973

 


 

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In Zusammenarbeit mit dem Autonomen Referat für antiklassistisches Empowerment an der Universität zu Köln (fakE Referat), erinnern wir an den Streik bei Pierburg in Neuss vom August 1973. In den kommenden Wochen veröffentlichen wir an dieser Stelle fünf Zeitzeugenberichte - Menschen mit starken Stimmen - die beim Streik beteiligt waren.

 

Der Frauen:streik bei Pierburg - intersektional, feministisch und (post)-migrantisch

Das Jahr 1973 war geprägt von (post)-migrantischen Streiks: im Mai wurde beim Mannheimer Landmaschinenhersteller Deere-Lanz, im Juli bei dem Autozulieferer Westfälische Metallindustrie Hueck und Co. in Lippstadt und Paderborn sowie im August bei den Fordwerken in Köln gestreikt. Im Sommer 1973 wurde beim Automobilzulieferer Pierburg in Neuss massiv die Arbeit niedergelegt: Dank wütender und mutiger (post)-migrantischer Frauen, die den Streik organisierten und anführten. Ihre Streikkraft war so ansteckend, das am Ende auch die nichtmigrantischen Menschen mitzogen. Gemeinsam legten sie ihre Arbeit nieder und forderten vor den Werkstoren bei Pierburg für mehr Gleichberechtigung und faire Arbeitsbedingungen.

 

Historische Einordnung

Das Jahr 1973 war nicht nur das Jahr des Streiks aber auch des Anwerbestopps. Bis auf weiteres sollten keine weiteren Arbeitskräfte angeworben werden und die bereits bestehenden Arbeiter:innen sollten in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. Die Entscheidung stieß auf so großen Widerstand, weil Rückkehr keine Option war und Deutschland über die Jahre für viele ihr neues Zuhause geworden ist. Der Pierburg Streik zeigte, wie wichtig (Post)-Migrant:innen für gesellschaftliche Bewegungen zur Emanzipation von Frauen und der Rechte von Arbeiter:innen waren. Der Streik in Pierburg hat maßgeblich zu einer Feminisierung von aktuellen Streiks geführt als auch einen Grundstein für eine antirassistische Tradition in der Streikkultur gesetzt.

 

Mehr Solidarität und 1 Mark mehr

Zum Zeitpunkt des Streiks, arbeiteten über 3.000 Menschen beim Automobilzulieferer Pierburg. Davon waren 70 % der Arbeitskräfte Menschen aus den Anwerbeabkommen, also Vertragsarbeiter:innen. Von dieser Personengruppe waren mehrheitlich Frauen angestellt, die überwiegend in der Lohngruppe 2, der sogenannten ‚Leichtlohngruppe‘, arbeiteten. Das bedeutete schwere und lange Fließbandarbeit im Akkordtakt für 4,70 DM pro Stunde. Männliche Kollegen verdienten dagegen 6,10 DM für gleiche Arbeit am Fließband.

 

„Pierburg hat die Polizei, wir haben die Solidarität.“ (Pierburg Autorenkollektiv, S.107:1974)

 

Im August 1973 legten dann 2.000 Arbeiter:innen, davon 1.700 Frauen ihre Arbeit bei Pierburg nieder. Sie forderten die Abschaffung der Leichtlohngruppe 2 und 1 DM mehr Lohn für alle Arbeiter:innen. Pierburg reagierte mit Eskalation und hetze die Polizei gegen ihre eigenen Arbeiter:innen. Die Polizei griff gewaltsam in die Streikaktionen ein. Was folgte war eine Welle der Solidarität aus Rosen, Unterstützungsbekundungen und verstärkter Widerstand gegen den Automobilzulieferer Pierburg.

Innerhalb einer Woche war der gesamte Betrieb lahmgelegt, die Öffentlichkeit solidarisierte sich zunehmend mit den Streikenden. Die Folge: Pierburg ließ sich auf Verhandlungsgespräche mit dem Betriebsrat der Arbeiter:innen ein. Es folgte die Abschaffung der Leichtlohngruppe 2 und Lohnerhöhungen um 30 Pfennig für alle Arbeiter:innen.

 

Warum wir an den Streik von 1973 erinnern

Deutschland beschäftigt bis heute Menschen aus dem Ausland und hält an den prekären Arbeitsverhältnissen fest, um die Privilegien einer Minderheit zu sichern. Das führte unweigerlich dazu, dass Frauen:streikaktionen aktuell geblieben sind. Es liegt aber auch daran, dass die Gewerkschaften nicht im Interesse der Arbeiter:innen engagiert sind. Wirtschaftspolitische Interessen konnten sich gegen die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchsetzen. Es gilt als Errungenschaft, dass in den 50er Jahren die Frauenlohngruppen abgeschafft wurden. Doch was sich in einem emanzipatorischen Prozess entwickelt hatte, wurde von bürgerlich-konservativen Parteien wieder rückgängig gemacht, damit diese ihre Interessen erhalten konnten. Nach der Abschaffung der Frauenlohngruppen folgte unter Zustimmung der Gewerkschaften die Einführung von Niedriglohngruppen. Genau aus diesem Anlass haben die Arbeitskämpfe von heute eine starke Ähnlichkeit mit dem Frauen:streik bei Pierburg. Denn die Zahl der berufstätigen Frauen in Deutschland ist seit den 1970er Jahren stark angestiegen.

Emanzipatorische Bewegungen haben es erreicht, Frauen mehr Unabhängigkeit durch ein eigenes Einkommen zu verschaffen, die dann durch die Abhängigkeit von diesem Einkommen ersetzt wurde. Der kontinuierliche Abbau von Sozialleistungen, führte zusätzlich zur Prekarisierung benachteiligter Gruppen. Dies betrifft vorrangig (Post)-Migrant:innen, Alleinerziehende und geschiedene Frauen, die sich oft in Teilzeitberufen, befristeten Arbeitsverhältnissen und Leiharbeit wiederfinden. Eine logische Konsequenz daraus, ist die Entstehung finanzieller Unsicherheiten. Zuweilen hat aber auch die Bedeutung des Dienstleistungszweiges und der Kampf um tarifliche Auseinandersetzungen zugenommen, weil in dem Bereich auch zahlreiche Frauen organisiert sind. Die Feminisierung des Arbeitskampfes ist in der Gegenwart angekommen. In allen Fällen betraf es die Forderungen zu gleichberechtigter Entlohnung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Auflehnung gegen die Privatisierung der Arbeitsplätze. Eine Zunahme von Streiks in Frauenarbeitsbereichen ist durchaus möglich. Zum einen, weil von anderen Streikaktionen gelernt werden konnte und zum anderen, weil die Arbeitskampfmotivation zunimmt. Der multi-ethnische, feministische Frauen:streik der Gegenwart muss mobilisiert, organisiert und solidarisch bleiben, damit die Forderungen der Arbeiter:innen auch die Betriebe erreichen. Das Wissen, dass Arbeiter:innen keine Einzelkämpfer:innen sind, sondern sich kollektiv zusammenschließen können, muss weitergegeben werden. Die Feminisierung von Streikwellen fordert spätestens seit Pierburg mehr Solidarität. Solidarität steht hier auch für Gleichberechtigung, Selbstermächtigung und Frauen:befreiung.